(Eine Kindergeschichte)
In Südfrankreich, irgendwo in den Weinbergen hinter Bézier,
lebte eine Räuberbande. Die drei Bandenmitglieder hießen Isabel, Eric und
Thomas und blieben, anders als die Touristenräuber, auch im Winter in der
Region; mal näher am Meer, mal mehr in den Bergen, genau wusste man das
nicht. Sie arbeiteen schon seit ein paar
Jahren zusammen und kannten sich gut.
Deswegen begann der Dezember für sie sehr vertraut: Isabel schimpfte und
war schlecht gelaunt und Eric und Thomas
stöhnten.
„Oje, jetzt kommt die Adventszeit, unsere schrecklichste
Zeit“, jammerte Eric.
Thomas pflichtete ihm bei. „Es wird entsetzlich.“
Die Adventszeit war für die beiden Jungs wirklich eine
schwere Zeit, wegen Isabel. Jedes Jahr packte sie ab dem ersten Dezember das
schlechte Gewissen. Sie dachte über ihren Beruf und die Menschen nach. Jeden
Tag, jede Stunde und sie dachte laut nach. So auch am am fünften Dezember, dem
Tag vor dem Nikolaustag. Isabel saß am Küchentisch und schüttelte unentwegt den
Kopf.
„Die armen Menschen, die wir beklauen.“
Obwohl die drei sich wirklich bemühten, nur die Reichen zu
beklauen, die die sich alles kaufen konnten. Aber manchmal griffen sie halt
doch daneben und erwischten die Falschen. Zum Beispiel die Frau eines Bankiers,
der gerade Pleite gegangen war. Die Frau mit ihm, denn sie hatte noch nie Geld
verdienen müssen. Oder ähnlich dramatische Fälle.
Thomas und Eric meinten, das könne schon mal vorkommen. Sie
hätten den Beruf verfehlt, wenn sie sich zu viele Gedanken über ihre Opfer
machten. Auch Isabel meinte das vom 1. Januar bis zum 30. November.
Doch heute führte Isabel sich besonders schlimm auf. Sie
stürmte vom Küchentisch zur Toilette und zurück, so dass der Luftzug die
Vorhänge aufblähte, Thomas sich im Stoff verhedderte und seinen Kaffee
verschüttete. Eric wollte die Tasse auffangen, dabei ging sein eigener Becher
zu Bruch.
Isabel rief: „Wir können so nicht weiter machen. Gerade vor
Weihnachten brauchen die Menschen jeden Cent für die Weihnachtsgeschenke. Wir
hören auf, wir suchen geregelte Arbeit. Wir könnten auf einem Weihnachtsmarkt
arbeiten. Ich gehe da jetzt hin.“
Diese Vorstellung war für Eric und Thomas noch grauenvoller
als Isabels schlechte Laune. Außerdem ist im Dezember beste Zeit für Räuber.
Nicht nur für Buchhandlungen und Elektrohandelsgeschäfte, nein ganz besonders
für Räuber. Es gibt keine Jahreszeit, in der die Menschen so schlecht auf ihr
Geld und auf ihre Wertgegenstände aufpassten. Wenn das Trio gut gewesen wäre,
hätten sie in den 24 Tagen bis zum
Heiligen Abend sogar ein Polster für die mageren Monate Januar und Februar
anlegen können
Eric dachte so und Thomas dachte so und sie waren sich
einig, dass sie dieses Jahr das Gejammer von Isabel nicht aushalten würden.
Unmöglich.
Da kam Thomas eine Idee.
Als Isabel im Dorfladen Brot kaufte, weihte er Eric ein.
„Warum berufen wir uns nicht auf unsere Kernkompetenzen? Wir verstehen uns aufs
Stehlen, ob Wertgegenstände oder Fähigkeiten. Gerade in Notlagen ist die
Besinnung auf Kernkompetenzen wichtig“, erklärte er.
Kurz und gut, gesagt – getan. In der Nacht vom 5. auf den 6.
Dezember warteten sie, bis Isabel eingeschlafen war. Dann schlichen sie sich an
ihr Lager, deckten vorsichtig die löchrige Wolldecke ab und legten stattdessen
einen Bettbezug, den sie extra dafür „besorgt“ hatten, über sie. Der Bettbezug
war überaus weihnachtlich gestaltet: Rot gekleidete Männer mit weißen Bärten,
die heiligen drei Könige, Sterne, Engel – alles war darauf abgebildet. Beide
sprachen feierlich:
„Kan sie ru maga –
her fri Taga – ti pli -maus – komm raus!“
Und klauten so ihrer Freundin und Kollegin das schlechte
Gewissen. Weg war es.
Es funktionierte: Gleich am nächsten Morgen benahm sich
Isabel wie ausgewechselt. Sie schmiedete Raubpläne wie in alten Tagen – ohne
jegliche Skrupel.
Eric und Thomas strahlten. Sie freuten sich so sehr, dass
sie ihre Freude nicht richtig verbergen konnten. Das machte Isabel argwöhnisch.
Schließlich war sie schlau und kannte ihre Kumpanen: Sie hatten etwas angestellt.
Isabel brauchte nicht lange zu bohren, da beichteten die
Beiden, dass sie ihr schlechtes Gewissen „ausgeliehen“ hätten.
„Aber keine Sorge, wir haben es an einen sicheren Ort
verwahrt – nur bis Weihnachten. Dann bekommst du es zurück und es bleibt auch
garantiert frisch.“
Isabel tobte. „Wie konntet ihr das wagen!“
„Es war doch für einen guten Zweck. Und es trifft keine
Arme, denn im Dezember bist du reich an schlechtem Gewissen.“
„Das spielt keine Rolle. Ihr habt einen Räubergrundsatz
gebrochen. Eine heilige Regel, unseren Ehrenkodex!“
Thomas und Eric sahen sie fragend an.
„Ihr habt mich, eure Kollegin bestohlen! Das geht nicht, das
macht man nicht – zu keiner Jahreszeit. Ist die Not auch noch so groß, Räuber
bestehlen sich nicht gegenseitig!“
Das sahen Thomas und Eric ein. Kleinlaut holten sie das
Betttuch mit dem schlechten Gewissen aus dem Kartoffelkeller und umhüllten
Isabel mit dem staubigen Stoff.
Da wurde Isabel noch wütender.
„Weg! Ich will es nicht. Es lebt sich viel leichter ohne
schlechtes Gewissen. Wir sind immer gute Räuber und das Gewissen legen wir in
ein eine Schachtel, damit ist es sauber bleibt. Am heiligen Abend darf es mit
uns feiern, ab dann stört es uns nicht mehr.“
Seit diesem Jahr schleichen sich Thomas und Eric immer am
fünften Dezember in Isabels Kammer – mit ihrer Erlaubnis. Sie breiten ein
Betttuch über sie und ziehen es mit dem Räuberspruch wieder weg. Isabel wird
nur böse, wenn sie dazu singen und sie mit ihren schrecklichen Stimmen
wecken.Danach ist kein Weihnachtsmarkt, keine Einkaufspassage, kein
prallgefüllter Geldbeutel mehr vor ihnen sicher. Am Weihnachtstag holen sie das Betttuch wieder hervor und
breiten ihre Geschenke darauf aus. Es ist immer ein Geschenk an das Gewissen
dabei und an die Armen, sollten sie doch ausversehen die Falschen beklaut
haben.
©tine sprandel im Dezember 2012
Informationen zu Tine Sprandel auf ihrer Homepage.
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