3.2.04

(9)
Nach und nach leerte sich die Gesindestube auf Federicos Gut. Rosalba saß mit angezogenen Beinen auf der Ofenbank und beobachtete, wie Mauro, der junge Kutscher, die Weinkaraffe zu sich heranzog: Er würde also noch eine Weile bleiben. Sie nahm ihr eigenes Glas und fuhr mit einem angefeuchteten Finger über den Rand, sodass es sang.
Mauro drehte sich zu ihr herum. „Willst du auch noch einen Schluck?“
Rosalba lächelte. „Ja, gern.“ Sie hielt ihm ihr Glas entgegen.
Mauro nahm die Karaffe und setzte sich neben sie, bevor er ihr einschenkte. „Prost!“
Rosalba sah ihn an und nickte bloß.
Der Kutscher kratzte sich am Kopf und trank dann seinen Wein in einem Zug aus.
Rosalba stellte ihr Glas ab und nahm die Beine von der Bank. „Du, Mauro … du kommst doch weit herum mit unserem Herrn.“
„Das kann ich dir sagen!“ Mauro freute sich, ein Gesprächsthema zu haben. „Aber es ist nicht immer lustig. Und gefährlich ist es manchmal auch. Ich kann dir …“
„Kann ich dich was fragen?“
„Aber immer doch.“
Sie zögerte einen Moment; dann griff sie in ihre Schürzentasche und holte das Amulett hervor. „Schau mal, hast du so einen Stein schon gesehen?“
Der Kutscher griff danach, aber sie hielt es fest, hob den Stein lediglich ins Licht. Er schillerte in vielen dunklen Farben. Sie hatten den Eindruck, als spiegele er nicht nur den Kerzenschein, sondern leuchte aus sich heraus.
„Wie alter Wein“, sagte der Kutscher bewundernd.
Da erlosch der Stein. Schwarz und stumpf war er plötzlich, als sei er nichts als ein Stück Kohle. Erschrocken ließ Rosalba das Amulett fallen.

*

Ein vielstimmiges Wiehern ertönte aus dem Stall, dann ein zorniges Schnauben; Pferdehufe, die gegen Boxenwände traten.
Doriano taumelte, schlug sich die Hände vors Gesicht. Dann ließ er sich neben Moghora ins Gras fallen, schüttelte den Kopf. „Was war das? Das war … Ich war … als ob ich in mir eingesperrt gewesen wäre. Ich konnte alles sehen und hören und mich doch nicht rühren.“
Silvana kniete sich zu ihm, das Gewehr immer noch auf Moghora gerichtet. „Geht es dir gut?“
„Ich denke schon. – Was ist mit der hier? Hast du sie erschossen?“
Silvana zuckte die Schultern; es interessierte sie in diesem Augenblick nicht.
Luciano antwortete: „Sie hat sie doch gar nicht getroffen! Die Furie hat sich als Mimose entpuppt.“
Verdi beugte sich über Moghora und zog sie am Arm. Der war ganz steif und unbeweglich. Verwundert ließ er los. „Ist jetzt die versteinert? Was geht hier eigentlich vor?“
„Das möchte ich auch wissen.“ Doriano gelang es, seine anfängliche Benommenheit abzuschütteln und sah sich um. „Eine Leiche haben wir nun aber trotzdem. Habt ihr den schon mal gesehen?“
Im Stall krachte es, als habe eines der Tiere eine Holzwand eingetreten. Silvana sprang auf. Einen Augenblick später stürmte Feu heraus. Er preschte auf sie zu, stieg vor Moghora hoch. Dann senkte er den Kopf zu ihr herab und beschnupperte sie. Er stupste sie an. Weil sie sich nicht rührte, wieherte er leise.
„Feu.“ Silvana streckte die Hand nach ihm aus, aber das Fohlen ignorierte sie. Es leckte Moghora übers Gesicht und schnaubte verhalten.

*

Der Kutscher bückte sich und gab Rosalba das Amulett zurück. „Wo hast du das her?“
„Gefunden.“ Sie biss sich auf die Lippen. „Ich dachte, es könnte etwas wert sein.“ Missmutig rieb sie mit zwei Fingern über den matt gewordenen Stein.
„Vielleicht ist es jemandem etwas wert“, versuchte Mauro sie zu trösten. „Manche Dinge sind kostbar, auch wenn sie keinen Wert haben. Und das Band ist gewiss aus Silber.“
Rosalba hörte nur halb zu. Sie griff nach einem Messer und begann, auf dem Amulett herumzuschaben.
„Was tust du da?“
„Sieh nur, darunter glänzt er wieder! Er wird wieder schön. Merkwürdig!“

*

Feu rieb sein Maul an Moghoras Wange. Die vier Menschen standen wie angewurzelt und beobachteten die Szene. Flatterten nicht plötzlich Moghoras Augenlider?
Feu leckte weiter über ihr Gesicht; dann kniff er sie in den Arm und stupste sie erneut. Moghora stöhnte.

© Annemarie Nikolaus