24.7.03

(5)

Neugierig trat er näher: Es war ein silberfarbenes Band mit einem großen schillernden Anhänger. „Schau doch mal“, rief er Silvana zu, während er es aufhob.
„Hast du wieder einen Kieselstein gefunden?“, lachte sie. „Nun komm schon; wir müssen uns um Feu kümmern!“
Doriano steckte das Band in seine Hosentasche und folgte Silvana. Erleichtert sah er, dass die Hufspuren nach Hause zurück führten.

***


Schon von Weitem hörten sie Larissas Wiehern und die Antwort des Fohlens. Dann erspähten sie im Dämmerlicht des Stalls eine Gestalt neben Feu und der Stute.
Doriano blieb abrupt stehen. „Nicht schon wieder!“
Silvana ging auf leisen Sohlen weiter – und lachte hell auf, als sie den Stall betrat. „Federico, was machst du denn hier? Ich denke, du bist im Sommerpalast des Königs.“
Der Mann wandte sich um. Mit der einen Hand, die er besaß, fuhr er sich durchs Haar. „Ich komme gerade zurück. Als ich die Rauchwolke über dem Tal stehen sah, bin ich gleich hierher statt nach Hause.“
„Es war eine lange Nacht“, seufzte Silvana. „Wenn es nicht schließlich wie aus Kannen gegossen hätte, wäre alles abgebrannt.“
„Aber euch und den Tieren ist doch nichts passiert, nicht wahr? Und Larissa hat ein zauberhaftes Baby!“
„Wir hatten Glück im Unglück“, bestätigte Doriano, der an der Tür stehen geblieben war.
„Bis eben waren wir mit den Pferden beschäftigt. Ich habe keine Ahnung, wie es im Haus aussieht“, ergänzte Silvana.
„Na, dann kommt, Kinder!“ Entschlossen schritt Federico voran.
Vorsichtig betraten sie das Haus. Die Treppe stand voll Wasser und darüber gähnte ein großes Loch.
„Die Sonne wird gleich alles getrocknet haben. Nehmt Wasser mit; es mag noch Brandnester geben.“
Gemeinsam begaben sie sich in die Küche. Federico reichte ihnen die Eimer, die sie füllten. Währenddessen sah er sich um, nahm einen Besen und klopfte damit gegen die Decke, aus der Feuchtigkeit sickerte.
„Gut“, meinte er schließlich. „Die scheint noch sicher zu sein. Die Küche könnt ihr immerhin noch benutzen.“
Aber im ersten Stock war ein Teil der Decke eingebrochen. In Silvanas Bett stak ein verkohlter Balken. Ein großer Spiegel mit vergoldeten Intarsien lag zerschmettert am Boden.
„Oh nein! Mutters Spiegel!“ Bevor einer der Männer sie aufhalten konnte, kauerte sie davor, rieb Ruß vom Rahmen und versuchte dann, ihn aufzurichten. Als sie ihn anhob, lösten sich einzelne Scherben und eine davon fiel auf ihren bloßen Arm. Sie schrie auf.
Im nächsten Augenblick stand Federico neben ihr. „Nicht weinen, Silvana. Das Glas kann man ersetzen. Du wirst sehen, er wird wieder wie neu.“
„Das ist aber nicht dasselbe“, jammerte sie. Erschöpfung und Müdigkeit brachen sich endlich Bahn und mit einem Schluchzen barg sie ihr Gesicht an seiner Schulter.
Federico zog sein Taschentuch hervor und wischte behutsam das Blut von ihrem Arm. Doriano holte ein zweites aus einer Kommode und verband notdürftig die Wunde. Dann inspizierte er das Schlafzimmer. Schließlich goss er über einem Teil des Deckenschutts das Wasser aus.
Ein Blick nach oben sagte ihm, dass der Dachstuhl wohl nicht begehbar war. Dennoch füllte er seine Eimer neu und ging hoch.
Dorianos Vermutung bestätigte sich: Zuerst mussten die Trümmer beseitigt werden. Und der Teil des Daches, der noch stand, wirkte bedenklich baufällig. Auch wenn es zwecklos sein mochte; in hohem Bogen schüttete Doriano das Wasser über die angekohlten Balken.

„Kommt, Kinder!“, sagte Federico schließlich. „Wir lassen uns erst einmal von Teresa mit einem Frühstück verwöhnen. Inzwischen werden zwei meiner Leute Brandwache halten. Und dann helfen wir euch beim Aufräumen.“
Silvana und Doriano packten saubere Kleidung zusammen, sattelten zwei Pferde und folgten ihm.

***


„Miodio, miodio“, empfing die alte Teresa sie in der Küche des Weinguts. „So ein Unglück!“ Sie rang die Hände, als sie der zerzausten und verschmutzten Geschwister ansichtig wurde. „Das hast du gut gemacht, Federico, dass du sie gleich hierher gebracht hast. Setzt euch, Kinder, setzt euch. Ihr werdet jetzt erst einmal tüchtig essen.“ Schnell schürte sie das Feuer im Herd. „Und Emma macht inzwischen heißes Wasser für euch. Und gebt ihr nur eure Kleider; sie wird sie waschen und ausbessern. - Was hast du da am Arm, Kindchen?“ Sie zog Silvana ans Fenster. „Du bist ja verletzt. Auch das noch! Da werden wir uns gleich drum kümmern.“
Lächelnd wehrte Silvana sie ab. „Es ist doch bloß ein Kratzer!“
„Nein, nein, Kindchen! Mit all dem Dreck, das kann böse werden.“ Teresa öffnete die Tür zum Hof. „Emma, Emma! Wo steckt das Gör? Emma, ich brauche dich! Und bring Verbandmaterial mit. – Rosalba! Mach die beiden Schlafräume im Seitenflügel fertig.“ In Windeseile hatte sie den Tisch gedeckt. „Ihr braucht erst einmal Ruhe nach dem Schrecken. Ist euer Haus überhaupt noch bewohnbar? Unsere Leute werden sich inzwischen um alles kümmern. Nicht wahr, Federico? - Silvana, nun setz dich doch endlich!“
„Silvanas Schlafzimmer ist ein Trümmerfeld“, antwortete Federico. „Bleibt nur bei uns, bis der größte Schaden beseitigt ist. Wenn ihr ausgeschlafen habt, sehen wir weiter.“

Vom Schlafen wollten Doriano und Silvana nichts wissen. Kaum eine Stunde später waren sie bereit zum Aufbruch. Ihre schmutzigen Kleider hatten sie in der Badestube liegen lassen.

***


Rosalba stand schweißüberströmt und vor sich hin schimpfend am Waschbottich, als Emma ihr die Kleidung der Geschwister brachte. „Noch mehr! Und alles bei dieser Hitze! Hat das nicht Zeit bis morgen?“, maulte sie.
„Meinst du, morgen ist es weniger heiß? Der Sommer hat erst angefangen!“
„Was bist du wieder spitz!“ Rosalba verdrehte die Augen.
„Mach deine Arbeit“, fuhr Emma sie an und warf die Kleider in den Zuber.
Mit einem empörten Schnaufen schüttete Rosalba einen Eimer heißes Wasser nach. Dann zog sie Dorianos Hose aufs Waschbrett. Es klirrte leise. Neugierig beugte sie sich über den Bottich und sah eine Kette im Wasser niedersinken. Sie griff nach dem großen Anhänger. Da war ihr, als schaue sie daraus ein dunkles Auge an. Erschrocken fuhr sie zurück und ließ ihn wieder fallen.
„Was hast du?“, fragte Emma.
„N… nichts.“ Rosalbas Gesicht wurde noch röter als zuvor. „Ich … Das Wasser ist zu heiß.“
Kopfschüttelnd wandte sich Emma ab. „Dumme Pute“, sagte sie im Hinausgehen; laut genug, dass Rosalba es hören musste.
Rosalba wartete noch einen Augenblick, dann tastete sie erneut nach der Kette. Wieder schien ihr, als starre sie durch den Dampf ein Auge an. Plötzlich ertönte ein leises Fauchen. Erschreckt blickte sie über die Schulter, aber von den Katzen war keine zu sehen.
Sie hielt das Amulett ins Licht, um es genauer zu betrachten: Es war ein schillernder dunkler Stein, der ungewöhnlich schwer in ihrer Hand lag. ‚Wie viel mag er wohl wert sein?’, fragte sie sich. ‚Wenn ich ihn verkaufen könnte, ob ich dann Geld genug hätte, um von hier fortzukommen?’
Andächtig strich sie über das silberne Band. Da hörte sie ein Wispern. Blitzschnell versteckte sie die Kette in ihrer Schürze und eilte zur Tür. Aber niemand war zu sehen. Sie schüttelte irritiert den Kopf und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.

© Annemarie Nikolaus